aus Leading Opinions Neurologie & Psychiatrie, 05.2019

Ernährung im Alter: Bedeutung in Beurteilung und Therapie
von neurologischen Krankheitsbildern

Autoren:
Dr. med. Sacha Beck, MHA1, 2 Innere Medizin, spez. Geriatrie FMH
Dr. med. Michael Jäger 1, 2 Innere Medizin, spez. Geriatrie FMH
Karin Blum Sadgrove 2 Ernährungsberaterin SVDE

1 Neurogeriatrisches Zentrum Zürich Zürich www.neurogeriatrie.ch
2 Age Medical – Zentrum Gesundheit im Alter Zürich www.age-medical.ch
Korrespondierender Autor: Dr. med. Sacha Beck, MHA E-Mail: sacha.beck@age-medical.ch

Keypoints

  • Die Ernährung hat in der Beurteilung von neurologischen Beschwerdebildern wie demenziellen oder muskulären Erkrankungen eine grosse Bedeutung.
  • Die Ernährung stellt einen wichtigen und beeinflussbaren Faktor für den Erhalt von Funktionalität und Autonomie im Alter dar.
  • Die Erkennung von Malnutrition und Sarkopenie ermöglicht den Zugang zu einer interdisziplinären Abklärung und das Erstellen eines spezifischen Therapieplanes.

Definition Mangelernährung 2, 3
BMI < 18,5 kg/m2 oder
ungewollter Gewichtsverlust > 10 %
unabhängig von der Zeit bzw. > 5 %
über die letzten 3 Monate
kombiniert mit
BMI < 20 kg / m2 (< 70 Jahren)
bzw. < 22 kg / m2 (> 70 Jahre)
oder fettfreie Muskelmasse < 15 und 17 kg / m2 bei Männern und Frauen

In den letzten zehn Jahren konnten verschiedene Studien mit älteren Menschen zeigen, dass die Ernährung im Alter für verschiedene Gesundheitsfaktoren eine beutende Rolle einnimmt und weit mehr ist als die Befriedigung eines Hungergefühls. Eine ungenügende Ernährung ist eng vergesellschaftet mit zahlreichen altersbedingten chronischen Krankheiten und beeinflusst auch die Diagnostik und Therapie neurologischer Krankheitsbilder.

Der Bevölkerungsteil der Menschen über 80 Jahre wird in der Schweiz in den nächsten 20 Jahren zunehmen. Im Rahmen der Alterung kommt es zu physiologischen Veränderungen wie zum Beispiel der Abnahme der Geschmacks- und Geruchswahrnehmung, der Speichelproduktion und der Muskel- und Knochenmasse. Veränderungen können durch zahlreiche akute oder chronische Krankheiten akzentuiert werden und damit kann die Ernährungssituation nachteilig beeinflusst werden.1 Der ältere Mensch kann zudem schlechter auf metabolischen Stress reagieren, weshalb sich rascher negative Effekte auf den Ernährungszustand einstellen. Alle genannten Faktoren begünstigen das Auftreten von alterstypischen Krankheiten. Dazu gehören unter anderem die Malnutrition, die Osteoporose, die Sarkopenie und Frailty (Gebrechlichkeit) sowie auch demenzielle Erkrankungen.

Malnutrition

Aufgrund verschiedener Faktoren kann die Aufnahme von Nahrung im Alter beeinträchtigt werden. Dadurch erhöht sich das Risiko für eine Malnutrition (Tab. 1).

Definition

Die Malnutrition beschreibt grundsätzlich ein Ungleichgewicht zwischen Bedarf bzw. Verbrauch einerseits und Aufnahme von Energie, Proteinen oder anderen Nährstoffen andererseits. Malnutrition ist gekennzeichnet durch ein niedriges oder abnehmendes Körpergewicht.1

Diagnosekriterien

Für die Malnutrition werden spezifische Diagnosekriterien angewendet (siehe «Definition Mangelernährung»). Weitere Fak- toren wie eine eingeschränkte Nahrungsaufnahme (< 50 % des Bedarfs für > 3 Tage), aktive Gesundheitsprobleme, die das Gleichgewicht zwischen Bedarf und Aufnahme beeinträchtigen, oder eine reduzierte Muskelmasse weisen ebenfalls auf ein Risiko für eine Malnutrition hin.2, 3 Wichtig ist, dass sowohl unter- wie auch normal- und übergewichtige Menschen ein Risiko für Malnutrition haben können. Speziell gefährdet sind Menschen im Spital oder in Alters- und Pflegezentren. Für das Screening haben sich Instrumente wie das Nutritional Risk Screening oder auch das Mini Nutritional Assessment Short Form bewährt.

Negatives Outcome und Therapieoptionen

Malnutrition ist mit zahlreichen negativen Outcomeparametern assoziiert wie zum Beispiel erhöhter Infektrate, Druckulzera, verlängerten Hospitalisationszeiten, schlechten Rehabilitationsergebnissen und auch Mortalität.4 Die Malnutrition stellt dabei einen unabhängigen Risikofaktor dar, dessen positive Beeinflussung durch orale Ernährungstherapie und patienten- zentrierte Massnahmen möglich ist. Wichtig bei diesen Massnahmen ist, ausreichende Mengen an Energie, Proteinen, Mikronährstoffen und Flüssigkeit zur Verfügung zu stellen. 2019 sind dazu europäische Leitlinien erschienen.5 Die Therapie einer Mangelernährung geht aber weit über reine Ernährungsmassnahmen hinaus und bedingt eine ganzheitliche Lagebeurteilung möglicher auslösender Faktoren und eine sorgfältige Therapieplanung, welche sich auch an realistischen und pragmatischen Zielen orientieren soll. Dazu kann eine Zuweisung in ein spezialisiertes Zentrum sinnvoll sein.

Aus neurologischer Sicht bedeutend sind die Auswirkungen der Malnutrition auf die Kognition, die Muskelmasse und die Muskelgesundheit. Letztere sind oft mitursächlich für Gangstörungen im Alter.

Muskelgesundheit und Sarkopenie

Physiologische Veränderungen

Die Körperzusammensetzung verändert sich im Alter. Das trifft insbesondere auf die Muskelmasse zu, die sich bereits im frühen Erwachsenenalter zu reduzieren beginnt und mit Fettzellen durchsetzt wird. Der Rückgang der Muskelmasse (bis 1–2 % pro Jahr) geht meist einher mit der Abnahme der Muskelkraft (bis 3% pro Jahr) und Muskelleistung (Kraft pro Zeit). Kombiniert mit einer im Alter häufig eingeschränkten körperlichen Aktivität und einer unzureichenden Zufuhr von Proteinen und Vitamin D führen diese Veränderungen häufig zu fatalen Auswirkungen auf die Gangsicherheit, Sturzraten und damit auch auf die Unabhängigkeit im Alter. Die abnehmende Muskelmasse gilt zudem als wichtiger Faktor für die Entwicklung von Sarkopenie und Frailty, die mit vielen Gesundheitsrisiken vergesellschaftet ist.

Definition von Sarkopenie

Die Sarkopenie wird definiert als Verlust von Muskelmasse, Muskelkraft und Muskelleistung. Vor allem die Muskelleistung erscheint dabei eine zentrale Rolle einzunehmen und früher abzunehmen als die Muskelkraft.6, 7 Verschiedene Faktoren tragen zur Entwicklung einer Sarkopenie im Alter bei, wie zum Beispiel die Atrophie von Typ-II-Muskelfasern, chronische Entzündungsreaktionen, die Abnahme der muskulären Stammzellen und Leistungsfähigkeit auf zellulärer Ebene (Mitochondrien).

Screening und Diagnostik von Sarkopenie

Die Erkennung der Sarkopenie im Alltag ist wichtig, kann sie doch durch Ernährungs- und andere supportive Massnahmen wie zum Beispiel ein Muskeltraining positiv beeinflusst werden. Ältere Menschen sollen regelmässig nach ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit gefragt werden. Dazu können etablierte Fragebogen verwendet werden. Bei Einschränkungen können durch standardisierte Messungen der Gehgeschwindigkeit und Greifkraft wichtige Rückschlüsse auf die Muskelleistung und Muskelkraft gezogen werden. Durch muskelspezifische Messverfahren wie der Doppelröntgenabsorptiometrie (DXA) wird die Muskelmasse abgeschätzt und die Diagnostik der Sarkopenie abschliessend ergänzt. Die Abklärung, Diagnose und auch Therapie einer Sarkopenie erfolgen idealerweise in einem dafür spezialisierten Zentrum.

Proteine und Training für eine gute Muskelgesundheit

Durch die Abnahme der Muskelmasse und damit der metabolisch aktiven fettfreien Masse verringert sich im Alter zwar der Bedarf an Energie, nicht aber an Proteinen und Mikronährstoffen. Studien der letzten Jahre konnten zudem zeigen, dass der Bedarf an Proteinen noch höher ist als bisher angenommen und dass die Einnahme von hochwertigen und gut zu verwertenden Aminosäuren für den Erhalt der Muskelgesundheit wichtig ist. Die positiven Effekte von Proteinen auf die Muskulatur scheinen zudem dann am besten, wenn die Einnahme mit körperlicher Aktivität kombiniert ist und gleichmässig auf drei Hauptmahlzeiten verteilt ist.

Für gesunde Senioren ab 60 Jahren wird eine Proteinmenge von 1,0–1,2g/kg Körpergewicht und Tag empfohlen.8 Diese Menge ist mit einem normalen Menüplan im Alter schwierig zu erreichen, weshalb mit Protein angereicherte Mahlzeiten eine gute Option darstellen. Dabei haben sich Produkte auf Molkebasis, welche reich sind an Leucin, besonders bewährt. Auch ein reichhaltigeres Frühstück oder Zwischenmahlzeiten stellen zum Erreichen des täglichen Bedarfs gangbare Alternativen dar. Die tägliche Proteinmenge kann sich bei chronischen und akuten Erkrankungen bzw. der Kombination von beidem bis auf 2g/kg Körpergewicht und Tag erhöhen.

Muskelmasse, Muskelkraft und Muskelleistung alleine sind aber nicht ausreichend, um Gangstörungen und Stürze im Alter zu vermindern. Der Koordination unserer für die Bewegung und Balance zentralen Regulationsmechanismen kommt eine ebenso wichtige Bedeutung zu. Zu deren Beübung und Erhalt haben sich Bewegungsformen bewährt, die körperliche Aktivität mit kognitiver Leistung eng verknüpfen, wie zum Beispiel Tanzen, Tai-Chi oder Rhythmik.

Demenzielle Erkrankungen

Gewichtsabnahme als Frühsymptom

Eine Gewichtsabnahme ist oft eines der ersten Symptome einer Demenzerkrankung. Sie kann einerseits Zeichen einer zunehmenden Alltagsüberforderung sein, andererseits aber auch Folge einer katabolen Stoffwechsellage. Kognitiv eingeschränkte Menschen sind oft emotional belastet und zahlreichen Stressfaktoren ausgesetzt, was die Gewichtsabnahme zusätzlich begünstigt. In den frühen Krankheitsstadien ist v.a. die Muskelmasse von einem beschleunigten Abbau betroffen.

Sarkopenie und Malnutrition verschlechtern Verlauf

Menschen mit einer Demenz sind einem hohen Risiko ausgesetzt, im Krankheitsverlauf eine Mangelernährung und Sarkopenie zu entwickeln. Beides ist wiederum mit einer hohen Komplikationsrate und einem beschleunigten Krankheitsverlauf assoziert. Weil der Nutzen einer medikamentösen Therapie für den Krankheitsverlauf weiterhin überschaubar ist, stellen patientenzentrierte Ernährungsinterventionen eine wichtige Therapieoption dar. Sie ergänzen die milieutherapeutischen Massnahmen, die in der Begleitung von Menschen mit einer Demenz und ihren Ange- hörigen weiterhin die zentrale Rolle ein- nehmen. Für die Ernährungsversorgung von Menschen mit einer Demenz wurden europäische Leitlinien erstellt.9

Schlussfolgerungen

Häufige altersassoziierte neurologische Problemfelder wie Gangstörungen, Stürze, Schluckstörungen, muskuläre oder kognitive Erkrankungen sind im Alter eng mit Malnutrition, Sarkopenie und Frailty verknüpft. Die Ernährung ist neben der regelmässigen körperlichen und geistigen Betätigung einer der wichtigsten beeinflussbaren Faktoren für den Erhalt von Funktionalität und Autonomie im Alter. Dies gilt sowohl aus präventiver Sicht zur Vorbeugung von kardiovaskulären oder demenziellen Erkrankungen als auch aus therapeutischer Sicht bei bereits etablierten Zeichen der Malnutrition, Sarkopenie oder auch Frailty. Ernährungsempfehlungen richten sich nach den speziellen Bedürfnissen der älteren Menschen und Patientinnen und Patienten und setzen ein sorgfältiges und interprofessionelles Assessment zur Diagnostik und zur Festlegung eines sinnvollen Therapieplanes voraus.

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